Richard Serra - Werke im öffentlichen Raum

Terminal (Piece for Documenta VI) (1977)

CorTen-Stahl, vier identische trapezförmige Bleche, je 12.50 x 3.66 x 2.74 m, 6.4 cm stark, auf quadratischem Grundriss. Gefertigt in der Thyssen-Hütte Hattingen. Serras Terminal war ein Wahrzeichen der documenta VI in Kassel, aufgestellt am Friedrichsplatz [Fotos].

Nach nach langen Verhandlungen und begleitet von heftigen Protesten wurde der Terminal 1977 von der Stadt Bochum für 300.000 DM gekauft und 1979 am Kurt-Schumacher-Platz, dem von Serra favorisierten Standort, vis-à-vis des Hauptbahnhofs in Bochum aufgestellt. Der Ankauf - eine mutige Entscheidung des Bochumer Stadtrats - löste eine Protestwelle aus, die sich zu Vandalismus, zu verbalen Entgleisungen („entartete Kunst") und bis hin zu Gewalt gegen die beteiligten Personen verstieg. Der CDU-Kandidat Kurt Biedenkopf hielt im Landtagswahlkampf direkt vor dem Terminal eine flammende Rede, in der er im Falle des Wahlsieges den Abriss des rostenden Schandflecks ankündigte.

Terminal bedeutet Ankommen. Für Bochum markiert das Terminal den Beginn der modernen Kunst im öffentlichen Raum. Mehr noch, Bochum wurde zur ersten Stadt weltweit, die eine Plastik von Richard Serra im öffentlichen Raum installierte. Heute wie damals steht der sperrige Fremdkörper für die grundsätzliche Frage, was Kunst ausmacht und insbesondere inwieweit Kunst dekorativ zu sein hat. Heute wird der Wert der Skulptur auf mehr als das Hundertfache geschätzt. Überdies spendete Serra später für einen Erweiterungsbau der Situation Kunst am Haus Weitmar exakt die Summe, die die Stadt für das Terminal gezahlt hatte.

Terminal bedeutet auch Umsteigen und Aufbrechen. Insofern mag das Terminal auch für einen neuen Begriff von Kunst stehen. Das Terminal steht auf einer Verkehrsinsel und nimmt mit seinen vier Platten gleichsam den Verkehrsfluss aus vier Richtungen (Ostring / Wittener Straße) auf und verwirbelt ihn. Das Terminals ist begehbar: die riesigen Stahlplatten des Terminals bilden einen abgeschotteten (doch eher beklemmenden) Innenraum, und das mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung. Blickt man nach oben, sieht man in den Himmel - durch eine überraschenderweise exakt quadratische Öffnung. Doch: worin genau gründet die - auch heute noch - heftige emotionale Reaktion vieler Menschen gegenüber diesem Kunstwerk? Ja, schon die schiere Größe, die abweisende Erscheinung der riesigen Stahlplatten und der Rost machen das Terminal zu einem herausfordernden Fremdkörper im urbanen Raum (und das selbst in einer Stadt, deren Geschichte von Stahl geprägt ist). Zuvörderst aber ist da die Unsicherheit einflößende, scheinbare Labilität des Kolosses, die beim Betrachter ein beklemmendes Gefühl auslöst. Diese beruht nicht zuletzt darauf, dass zwei der vier Stahl-Trapeze mit der längeren der parallelen Seiten nach oben weisen und dass rechte Winkel fehlen. Hinzu kommt, dass die unregelhafte Gesamt-Konstruktion vertrackt ist und für das Auge schwer bis gar nicht zu fassen:

»Ebenso irritierend ist, dass die einzelnen Ansichten der Skulptur sich nicht zur Vorstellung eines zusammenhängenden Ganzen vereinheitlichen lassen, eröffnet doch jede Veränderung der Perspektive auf die Skulptur neue und unerwartete Erfahrungsqualitäten. Immer wieder scheint ein grundlegend gewandeltes Gebilde vor Augen zu stehen, da sich beim Umschreiten kein einheitliches Ganzes im Gedächtnis aufbaut, sondern die jeweilige Ansicht sich auf merkwürdige Weise isoliert. Je mehr die einzelnen Ansichten in ihrer Wirkkraft erkannt werden, desto mehr verliert sich ein Bild vom Ganzen, mithin der Blick für seine Identität.«
[Karen van den Berg (1995), S. 25]

Elementar sind die Themen vieler von Serras Arbeiten aus dieser Zeit: to roll, to twine, to store, to suspend, of inertia, of gravity, of equilibrium, of friction sind Begriffe (unter vielen), die er 1972 auf seine "verb list" setzte - eine Liste, die sich wie ein Programm für sein Werk liest, eine Liste von Aktivitäten für künstlerische Prozesse. Seine Werke sind keine Objekte, die vom Betrachter "von außen" inspiziert und eingeordnet werden wollen, sondern Arrangements im Raum, die vom Besucher begangen und erkundet werden, um Material und Raum und ihre Wirkung auf das Selbst - wie in einem Experiment - zu erfahren, zu erproben. Sie repräsentieren weniger eine Form und ihr Konstruktionsprinzip, als vielmehr die befremdende psychiche Energie, die sich beim unmittelbaren Erleben einstellt und die uns von der (mal heimeligen, mal abschreckend/gesichtslosen) "gemachten" Lebenswelt Stadtraum und unserer Gewöhnung daran entrückt. Das Terminal steht in diesem Sinn für einen Kunstbegriff, der mit Bewusstwerdung und mit einer veränderten Wahrnehmung zu tun hat.

»I consider space to be a material. The articuation of space has come to take precedence over other concerns. I attempt to use sculptural form to make space distinct.«
[Richard Serra, 1998]

Auch vom Material Stahl und vom Umgang damit - dem Walzen des glühenden Materials im Stahlwerk etwa, um aus einer Bramme eine Stahlplatte zu fertigen - hat sich der Mensch heute weitgehend entfremdet. Stahl kennt mensch bloß noch versteckt hinter Metallic-Lack oder im Beton. Das Terminal wiederum macht die unerbittliche Härte und Unverrückbarkeit des Materials haptisch erfahrbar. Die Oberfläche des Terminals zeigte zudem Spuren des Herstellungsprozesses - bis diese bei der Restauration 2014 durch Sandstrahlen entfernt wurden...

Mehr:

  Karen van den Berg: KunstOrt Ruhrgebiet. Der leibhafte Raum. Das Terminal von Richard Serra in Bochum. Edition tertium, Ostfildern, 1995 [72 S., illustriert]
  Terminal (1977/79), artibeau : kunst in bochum
  Terminal, NRWskulptur
  Ingo Bartsch: Terminal von Richard Serra. Eine Dokumentation in 7 Kapiteln. Museum Bochum, 1980 [132 S., illustriert]

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