Die Welt des Otto Herbert Hajek

*27.6.1927 Kaltenbach/Tschechien †29.4.2005 Stuttgart




Leben

«Kunst stiftet Gemeinschaft.»
[Otto Herbert Hajek]

Hajek ging in Prachatitz auf das Gymnasium, nach der Flucht nach Westdeutschland in Erlangen. Von 1947 bis 1954 studierte er Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Seine Erfolge als Künstler setzten früh ein: 1958: Deutscher Beitrag bei der XXIX. Biennale in Venedig sowie Beteiligung an der Weltausstellung Expo ’58, Brüssel (Deutscher und Vatikanischer Pavillon), 1959 Teilnahme an der documenta II (mit zwei „Raumknoten“), 1964 an der documenta III (mit der begehbaren Plastik „Frankfurter Frühling“). Auch auf der Weltausstellung Expo 1967 in Montreal (Deutscher Pavillon) stellte er aus.

«Arbeiten in Kunst fördert das Verändern von Verhältnissen.»
[Otto Herbert Hajek]

«Hajek hat Zeichen gesetzt, als Künstler ebenso wie als Mensch. Seine Überlegungen sind stets auf den Menschen bezogen, sein Bemühen um die Integration der Kunst im öffentlichen Raum gilt der Gestaltung einer humanen Stadt. Hajek verstand die Rolle des Künstlers als in der Gesellschaft wirkend, nicht an ihrem Rande agierend. In diesem Sinne nahm er Einfluss im kulturpolitischen Dialog zwischen Kunst und Öffentlichkeit und war entscheidend an der Gestaltung des Ost-West- und Nord-Süd-Kulturdialog der Bundesrepublik Deutschland beteiligt. »[Beate Domdey-Fehlau, Langenfeld]

Seit dem Jahre 1957 war Hajek Mitglied des Deutschen Künstlerbundes. Als Vorsitzender des Deutschen Künstlerbundes (1972-1979) warf er den deutschen Kulturverantwortlichen vor, in den Lehrplänen das "Nützlichkeitsdenken" über die Entfaltung der Kreativität zu stellen.

«Kunst ist ein Wetzstein für Toleranz.»
[Otto Herbert Hajek]

1980 bis 1992 lehrte Hajek als Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. 1983-1987 führte er seine Bildhauerklasse zu Studienreisen nach Indien, in die Tschechoslowakei, die Deutsche Demokratische Republik sowie nach Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien.


Werk

Hajeks Raumknoten und Raumschichtungen Ende der 1950er Jahre gaben der Plastik des Deutschen Informel einen wesentlichen Impuls. Bereits an diesen frühen Arbeiten Hajeks ist zu beobachten, dass sie weniger den Raum besetzen als dass sie mit ihm auf komplexe Art "verwoben" sind.

Als einer der ersten Künstler setzte Hajek Beton als künstlerisches Material ein, z.B. bei seinem Magnetischen Raumfeld (1957-59) an der Universität Freiburg.

Farbwege überziehen bei seiner Arbeit „Frankfurter Frühling“ (1964) - Kunst-am-Bau für die Heinrich-Kleyer-Schule in Frankfurt am Main (inzwischen entfernt) - Pflaster und Fassade. Zudem sind sechs farbige Betonskulpturen in dieses Geflecht integriert. Die Installation lässt den Betrachter, der das Geflecht durchschreitet, sich unweigerlich mit dem Kunstwerk in Beziehung setzen: der Betrachter wird sich des Ortes bewusst, der Ausdehnung des Raums und der eigenen Bewegung. Die Objekte sind weniger um ihrer selbst willen dort: sie dienen vielmehr dazu, den Raum zwischen ihnen erlebbar zu machen. Der Raum wird durch die Objekte zum markierten Raum. Der markierte Raum wird bewusst wahrgenommen. Das Kunstwerk und dessen individuell-subjektives Wahrgenommenwerden verschmelzen. Hajek präsentiert die Arbeit auf der documenta III; der „Frankfurter Frühling“ verhilft Hajek zum internationalen Durchbruch.

Mitte der 1960er Jahre entwickelt sich Hajeks typische Form- und Farbsprache: Hajek beschränkt sich fortan auf einfachste geometrische Formen wie Dreieck, Trapez und Parallelogramm. Hinsichtlich der Farben kommt er von nun an mit Rot, Blau und Gelb (bzw. Gold) aus. Hajeks Formen und Farben sind nicht ohne Zufall von einer aktivierenden Qualität: Hajek macht es sich zur Lebensaufgabe, den städtischen Raum als Lebens-, Erfahrungs- und Identifikationsraum zu gestalten. Zu seinen Hauptwerken in diesem Zusammenhang dürfen gezählt werden: Studentenhaus und Mensa, Universität des Saarlandes, Saarbrücken (1965/70); Stadtikonographie, Southern Plaza, Adelaide/Australien (1973-77) sowie Römische Erinnerung, Gestaltung des Mineralbads Leuze, Stuttgart, im Innen- und Außenraum (1979-1983).

Viele von Hajeks Freiplastiken mögen dem einen oder anderen Betrachter reliefhaft, fast zweidimensional anmuten. An dieser Stelle sei insbesondere der Bezug zu Hajeks bedeutendem druckgrafischen Werk erwähnt.

Hajeks Bedeutung für die Kunst im öffentlichen Raum gründet indessen in der großen Befreiung, die er - in mehrfacher Hinsicht - einläutete:



Auszeichnungen und Ehrungen

1978 Ehrenpromotion der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen;
Verleihung des Professorentitels durch das Land Baden-Württemberg
1980 "Jan Stursa" Medaille des tschechischen Kulturministeriums
1982 Verleihung des Verdienstkreuzes I. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1987 Ehrenmitglied des Deutschen Künstlerbundes;
Verleihung "Adalbert-Stifter-Medaille" durch den Adalbert-Stifter-Vereins, der die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Tschechien pflegt und dessen Vorsitzender er 1982 war;
Verleihung des Lovis-Corinth Preises der Künstlergilde Esslingen e.V.
1988 Ehrensenator der Eberhard-Karls-Universität Tübingen;
Berufung als Mitglied in den deutsch-französischen Kulturkreis
1990 Großer Sudetendeutscher Kulturpreis; Begründer des Stipendiums "Künstlerwege e.V.''
1993 Ehrenpromotion durch die Pädagogische Fakultät der Westböhmischen Universität Pilsen
1994 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg; Aufnahme in die Professorenkollegien der Akademie der Bildenden Künste in Bratislava und der Surikov- Kunsthochschule in Moskau
1995 Aufnahme der Skulptur „Zeichen-Wandlungen“ in die Vatikanischen Museen
1996 Ordentliches Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Salzburg
1998 Bürgermedaille der Landeshauptstadt Stuttgart;
Ein Stadtzeichen, das er der Stadt Prachatice schenkte, wurde am Gymnasium, das er besucht hatte, aufgestellt. Er wird zum Ehrenbürger der Stadt ernannt;
Verleihung des Franz-Kafka-Kulturpreis des europäischen Zirkels "Franz Kafka" Prag;
Verleihung des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
2001 Eröffnung des Kulturzentrums Otto Herbert Hajek in Prachatitz/Südböhmen. Hajek überließ der Stiftung eine repräsentative Auswahl von rund einhundert Exponaten. Die Schirmherrschaft über diese Eröffnung übernahmen Václav Havel, Präsident der Tschechischen Republik, und Dr. Richard von Weizsäcker, damaliger Deutscher Bundespräsident;
Kunstpreis der European Union of Arts, Prag;
Kunstpreis der Versöhnung Tschechisch-Deutsche Kultur-Allianz
2002 Verleihung der Ehrendoktorwürde der Akademie der Bildenden Künste, Bratislava/Slowakische Republik
2003 Gründung der Otto Herbert Hajek Stiftung der Stadt Stuttgart
2005 Die Sparda-Bank Baden-Württemberg gründete die Otto Herbert Hajek Kunststiftung. Noch zu Lebzeiten, im Dezember 2004, überließ Hajek der Stiftung rund 700 seiner Werke, darunter je ein Exemplar des gesamten druckgrafischen Werks, bestehend aus 390 Serigrafien und 110 Plakaten, sowie 80 Gouachen, 36 Bilder, drei Bildteppiche und 69 Plastiken.


Ausstellungen (Auswahl)

1960 Städtische Kunsthalle, Mannheim
1965 Museum Folkwang, Essen
1975 Gallery Hobarth, Sydney
1976 Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg
1977 The Gallery Adelaide Festival Centre, Adelaide
1981 Museo Nationale de Castel Sant'Angelo, Rom
1983/84 Langenfeld/Rheinland - Kunst im öffentlichen Raum und im Rathaus
1987 Forte di Belvedere, Florenz; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
1988 Nationalgalerie, Prag
1989 Zentrale Kunsthalle Moskau
1991 Museum Haus Ludwig, Saarlouis
1999 Sparda-Bank, Stuttgart
2000 Retrospektive, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
2001 Prachatitz/Tschechien, Eröffnung des Kulturzentrums O.H.Hajek
2004 Nationalgalerie, Prag
2007 Städtische Galerie Karlsruhe / Städtisches Kunstmuseum Singen / Georg-Kolbe-Museum Berlin / Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
2020 kunsthaus rehau
2023/24 Otto Herbert Hajek, Kunstmuseum Stuttgart;
O. H. Hajek - Letzte Ausstellung. Galerie Hajek, Stuttgart


Literaturempfehlung

[SR 02] Johanna Stulle, Martin Rupps (Hrsg.): Otto Herbert Hajek - Ein Leben im öffentlichen Raum. Hohenheim Verlag, Stuttgart, 2002 [164 S., reich illustr., 32 cm. Anlässlich seines 75. Geburtstags erschienen, fragt dieser Band nach der Person hinter dem Werk. Hajek war ein Mann des öffentlichen Lebens. Entsprechend findet man viele Fotos von Hajek, z.B. Hajek in New York, Hajek mit Vaclav Havel, mit Willy Brandt, mit Helmut Schmidt, mit Papst Johannes Paul II oder mit Queen Elizabeth II. Herzstück des Bandes sind Gespräche, die Weggefährten und Kenner seiner Arbeiten mit Hajek führten. Auf dem Einbanddeckel prangt eine von Hajek zu diesem Zweck entworfene, in Silber geprägte Grafik.]
[Gom 00] O. H. Hajek - Eine Welt der Zeichen, hrsg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, in Zusammenarbeit mit Eugen Gomringer. Wienand Verlag, Bonn, 2000. [Anlässlich der Ausstellung 'O. H. Hajek - Eine Welt der Zeichen' in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, erschienen, enthält dieser Prachtband insbesondere das Werkverzeichnis zu Hajek (bis 1999) von Anuschka Koos (geb. Plattner), die bei Peter Anselm Riedl an der Universität Heidelberg 1999 über Otto Herbert Hajek promovierte. Ein Beitrag von Peter Anselm Riedl befasst sich mit Otto Herbert Hajeks Position in der Gegenwartskunst. Der Tafelteil glänzt mit einer Besprechung der Werke im Umkreis des Informel. Ebenso von Günther Wirth: eine sinnfällige Zusammenstellung von Farbwegen von Hajek, die - über Holz, Bronze, Karton und Tusche hinweg - Hajeks Anliegen deutlich zu Tage treten lässt. Das Kapitel "Im Spannungsfeld Architektur" zeichnet Hajeks Entwicklung vom Relief über den 'Frankfurter Frühling' und die Mensa in Saarbrücken bis zu den Stadtikonograpien Adelaide und Mülheim, dem Mineralbad Leuze sowie zur Raumartikulation an der Sparda-Bank Stuttgart nach.]
[Koo 99] Anuschka Koos (geb. Plattner): Otto Herbert Hajek - Konzeptionen der Raumgestaltung. Inauguraldissertation, Universität Heidelberg, 1999
[cic 74] O. H. Hajek: Farbwege 1952 - 1974. cicero Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1974.
[Ein Prachtband! Kunstedition mit Blechdruck auf vorderem Umschlag, Metallfolienprägung, und achtfarbigen Reproduktionen auf 11 Seiten. Zahlreiche Beiträge, u.a. von Ulrich Weisner und von Manfred de la Motte. 156 S., 24.8 cm, 36 Seiten mit vierfarbige Abb.]


Weiterführende Hinweise


Wir bedauern, dass das virtuelle Otto-Herbert-Hajek-Museum der Otto-Herbert-Hajek-Kunststiftung der Sparda-Bank Baden-Württemberg vom Netz genommen wurde. Gleiches gilt (Stand 2020) für die Broschüre Otto Herbert Hajek - Begegnungen mit seinen Werken in Stuttgart, herausgegeben 2007 von der Stuttgart-Marketing GmbH. Auch in der Touristik-Information "i-Punkt", Stuttgart, ist sie vergriffen...



Danksagung

Herrn Professor Peter Anselm Riedl danke ich für die Gespräche, die mir einen Zugang zu Otto Herbert Hajek vermittelten. Den vielen Fotografen, die Fotos beigesteuert haben, sei an dieser Stelle ebenfalls herzlich gedankt, insbesondere aber Wolfram Freutel und Eberhard Hauff!






Dr. Emden-Weinert Version 3.11 created: 2010/02/07, last changed: 2024/02/12