Kreis und Kugel

Johann Wolfgang von Goethe (*1749 Frankfurt am Main †1832 Weimar) / Adam Friedrich Oeser (*1717 Pressburg †1799 Leipzig):
Stein des Guten Glücks oder Altar der Agathé Tyche (1776/77)

Der Stein des Guten Glücks, auch Altar der Agathé Tyche genannt, gilt als eines der ersten nicht-figürlichen Denkmäler in Deutschland. Eine solche Arbeit konnte zu dieser Zeit nur in einem mehr oder weniger privaten Rahmen realisiert werden.

Oeser bestimmte fast ein halbes Jahrhundert das künstlerische Leben Leipzigs. Neben seiner Arbeit als erster Direktor der Leipziger "Zeichnungs-, Mahlerey- und Architectur-Academie" war er über zehn Jahre lang als Künstler am Weimarer Musenhof der Herzogin Anna Amalia tätig. Oeser, der zahlreiche Grab- und Erinnerungsmäler schuf, bricht 1775 mit der reinen allegorischen barocken Formensprache und entwickelt sein Werk hin zu einer natürlichen bzw. symbolischen Zeichensprache.

Der 28jährige Goethe plante 1776 ein Denkmal für Charlotte von Stein, für ihn eine «Seelenfreundin», die er nach seinem Weggang aus Frankfurt am Main in Weimar kennengelernt hatte. Für die Gestaltung zog er Adam Friedrich Oeser, seinen ehemaligen Leipziger Zeichenlehrer, hinzu. Wenige Monate später war das Werk fertiggestellt, 1777 wurde es aufgestellt. Von Stein übte auf Goethe mit seinem schwankenden, unruhigen Temperament einen besänftigenden, mäßigenden Einfluss aus. Goethe, der sich fühlte «wie ein Ball, den eine Stunde der anderen zuwirft», fühlte sich durch sie zu Ruhe und Klarheit angehalten.

Seit der Antike wurde «Agathe Tyche», die Göttin des Zufalls, als Beschützerin des Glücks verehrt. Goethe und Oeser nehmen mit Kugel und Kubus Bezug auf überlieferte Sinnbilder (von der Emblemliteratur popularisiert). Die bewegliche Kugel symbolisiert hiernach Unbeständigkeit, insbesondere den launenhaften Charakter des Glücks, während der Kubus für Beständigkeit, Verlässlichkeit und Ruhe steht. Beide, Kugel und Kubus, gehen in diesem Bildwerk eine fruchtbare, produktive Verbindung ein, ohne sich gegenseitig in ihrer Wirkung aufzuheben.


Michelangelo:
Der Traum des
menschlichen Lebens

(um 1553)
Aus der reichhaltigen Bildtradition der Kugel-Kubus-Antithese sei hier exemplarisch Michelangelos Zeichnung Der Traum des menschlichen Lebens (um 1553) erwähnt: Ein athletischer nackter Jüngling - Kraft und Leidenschaft verkörpernd - sitzt auf einem Kubus, an die unbeständige Kugel gelehnt. Er ist umgeben von nackt-verlockenden, figürlichen Darstellungen der sieben Laster / Todsünden. Der Kubus ist hohl, in seinem Inneren liegen Masken als Sinnbild der Täuschung und des Selbstbetruges. Ein Engel mit Posaune weckt den Jüngling aus seinem allzu irdischen Traum, der ihn völlig in den Bann zu schlagen droht, und erinnert ihn daran, mehr nach Dauerhaftem, nach Überirdischem zu streben.
[frei nach: Peter-Klaus Schuster: Die Grammatik der Formen. Zur Sprache der Skulpturen von Fritz Koenig. In: Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): Fritz Koenig. Skulptur und Zeichnung. Prestel Verlag, 1988, S. 38/39]

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[Foto: 7/2009 Fewskulchor, Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen]