Die Welt des Karl Hartung

*1908 Hamburg †1967 Berlin



Leben

Schon in jungen Jahren war er nachhaltig von der anthroposophischen Lehre geprägt worden, der sich die physische Welt als eine Offenbarung des Geistes darstellte. Rudolf Steiner sah im Geistigen das eigentliche Wesen der Erscheinungswelt begründet.
(Markus Krause [2, S. 71])

Von 1923 bis 1925 absolviert Hartung eine Ausbildung als Holzbildhauer in den Werkstätten für Bildhauerarbeiten von Carl Briese. Ein Studium an den Staatlichen Schulen für Freie und Angewandte Kunst in Hamburg bei Johann M. Bossard schließt sich an (bis 1928). In dieser Zeit beschäftigt er sich mit dem Werk von Rodin und Maillol. 1928 reist er nach Dresden, Prag, Wien und Berlin, 1929 (mehrmals) zu Bernhard Hoetger nach Worpswede. Mit einem Alfred-Lichtwark-Stipendium - vermittelt durch den deutsch-türkischen Sprachwissenschaftler Albert Assa, der auch Hartungs erste Ausstellungen in Hamburg organisierte - geht Hartung 1929 nach Paris, wo er bis 1932 bleibt.

In Florenz befasst er sich 1932 und 1933 mit den Werken Donatellos und der Kunst der Etrusker. Während Hartung bis dahin figürlich arbeitete, entstehen - wieder zurück in Hamburg - ab 1935 erste biomorphe Formen, die von Constantin Brâncusi, Alexander Archipenko und Hans Arp beeinflusst sind. Seine erste abstrakte Plastik ist Durchlöcherte Form (1935).

1936 siedelt Hartung mit seiner Familie nach Berlin über. 1939 trifft er Brancusi, Arp und Henri Laurens in Paris. 1943/44 besucht er Picasso, Brancusi und Laurens in Paris.

Seine erste Einzelausstellung hat Hartung 1946 in der legendären Galerie Gerd Rosen in Berlin.

1950 ist er Gründungsmitglied des Deutschen Künstlerbundes. 1951 erhält Hartung einen Ruf an die Hochschule für Bildende Künste Berlin als Professor für Bildhauerei. Im selben Jahr wird er Mitglied der Münchener Künstlergruppe „ZEN 49“.

Das Unsichtbare sichtbar machen und das Sichtbare durchsichtig. Wenn die Plastik durchlöchert wird und den Raum einbezieht, so bedeutet dies gewiss ein besonderes Verhalten und vielleicht die Sehnsucht nach Transzendenz.
(Karl Hartung, 1963,
zitiert nach [2, S. 91])

In den Jahren 1952 bis 1954 sind ihm in Berlin, Hannover, Wuppertal, Hagen, Krefeld, Dortmund, Hamburg, Bremen, Mannheim, Köln, Stuttgart u.a. Städten Einzelausstellungen gewidmet. 1955 übernimmt Hartung den Vorsitz des Deutschen Künstlerbundes (bis 1967). Im selben Jahr nimmt er der ersten documenta in Kassel teil (ebenso später an der documenta II und III). 1956 wird er zur Biennale nach Venedig eingeladen. Er wird in die Akademie der Künste Berlin aufgenommen.

1956 wird seine Große Kugelform in Hannover aufgestellt. Zusammen mit Otto Herbert Hajeks Arbeit Durchbrochene Fläche im Raum in Stuttgart zählt sie zu den ersten Kunstwerken, die in Deutschland im öffentlichen Raum aufgestellt werden. 1958 entwirft er eine Plastik zur Weltausstellung in Brüssel.

In den Jahren 1959 bis 1964 leitet Hartung die Abteilung Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin und ist deren stellvertretender Direktor.

Hartung stirbt am 19. Juli 1967 nach langem Leiden. Hartungs Grabstätte auf dem Waldfriedhof Zehlendorf gehört zu den Ehrengräbern des Landes Berlin.

Der schriftliche Nachlass Karl Hartungs liegt seit 1994 im Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. Dort steht, im Innenhof, auch die Arbeit 'Durchbrochene Säule' [Foto].



Werk

Zeitlebens blieb die Natur sein erklärtes Vorbild. Sein größter Wunsch war es, Gleiches zu gestalten, ihr ebenbürtig an die Seite zu treten. Es ging ihm um eine Objektivierung der plastischen Form, (...), losgelöst von jeder Bedingtheit durch das eigene Ich. Dieses Zurücktreten der eigenen Person zugunsten der künstlerischen Sichtbarmachung einer objektiven, universellen Formensprache ist ein Hauptmerkmal seines Werkes
(Markus Krause [2, S. 74])

Hartungs Werk ist von der europäischen Moderne geprägt, eine Grundschwingung ist das Schöpferische, das Wachsende - ...wie die Natur. Figürliche Gestalt und Abstraktion waren für ihn keine Gegensätze, eher zwei Erscheinungsformen des Lebendigen. Schon in seiner Jugend beschäftigte sich Hartung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners. Nach figürlichen Anfängen (Aristide Maillol), die sein Interesse für die klassische Antike erkennen lassen, wendet er sich 1935 biomorphen Formfindungen zu - angeregt nicht nur durch Hans Arp und Constantin Brâncusi, sondern auch durch weich geschwungene Formen in der Natur wie abgeschliffene Kieselsteine, Bäume (insbesondere Wurzeln) und Muscheln.

Das Jahr 1954 markiert eine Zäsur in Hartungs Schaffen (ob der Tod Henri Laurens' einen Einfluss hatte ist nicht belegt). An die Stelle der glattpolierten Oberfläche tritt plötzlich - wie ein Schleier - eine von Furchen und Klüfte gekennzeichnete Außenhaut, die nach dem dahinter verborgenen Inneren fragen lässt. Seine Figuren und Flügelformen geraten zum Menetekel: Zeichen für verlorene Vitalität, Zeichen für die Vergänglichkeit des Körpers, Zeichen für die Vergeblichkeit menschlichen Strebens? In den Jahren 1955/56 entstehen zudem scharf konturierte, fast zweidimensionale, zeichenhafte Monumente. Ein Mahnmal für die Strafanstalt Frankfurt-Preungesheim, Hinrichtungsstätte der Verurteilten des 20. Juli 1944, - Zeichen für das Sich-Behaupten angesichts des Todes - ist leider zerstört.

Daneben stehen Arbeiten wie Stehende Figur (1956/57) und - ein Jahr nach dem Tode von Constantin Brâncusi - ein Hauptwerk, Thronoi (1958/59). In beiden Arbeiten wird die Figur transparent - auf ein Geäst reduziert. Es ist dies zum einen eine konsequente Fortführung der durchlöcherten Form um ein leeres Inneres herum (vgl. die Arbeit Umschlossener Raum (1953), im Katalog "Blickachsen 4", Bad Homburg). Zum anderen schwingt die Wurzel-Metapher mit: während der Baum über die fein verästelten Wurzeln seine Lebenskraft und seinen Halt aus der Erde bezieht, löst er sich nach dem Tode auf im Raum-Zeit-Kontinuum, das - wie ein Netz - den Kosmos durchzieht.

In den verschiedenen Varianten seiner »Baumsäulen« erschafft er kurz vor seinem Tod erneut »Denkmäler der Vegetation«, die ein Symbol für die Wirkungsmacht des Organischen darstellen und gleichzeitig auf das Geistige als Urgrund des Daseins verweisen. Diese Säulen umfassen sowohl den Prozess des Wachstums als auch den Zustand des Gewachsenen.
(Markus Krause [2, S. 166])

Ab Ende der 1950er Jahre entstehen drei neue Werkkomplexe: der der Kopfsteine - meteoriten-artige, kompakte, kristalline Kerne -, Reliefs sowie, ab 1961, eine Gruppe von Säulen, Baumsäulen [Abbildung] und Vierkantsäulen, die zu Hartungs abstraktesten Arbeiten gehören. Verdichtet in der Form, stehen sie für einen Grad der Vergeistigung, der wie »eine Summe seines bisherigen Schaffens erscheint« [Markus Krause].



Auszeichnungen

1950 Kunstpreis der Stadt Berlin (zusammen mit Hans Uhlmann und Bernhard Heiliger)
1954 Cornelius-Preis der Stadt Düsseldorf (für die Arbeit Torso (1950), vgl. MUMOK, Wien)
1961 Großer Preis des Landes Nordrhein-Westfalen


Einzelausstellungen (Auswahl)

Zu den mit »K« gekennzeichneten Ausstellungen erschien ein Katalog.

1929 Künstlerheim, Atelier Ary Bergen, Hamburg
1946 Galerie Gerd Rosen, Berlin
1948 Plastik und Graphik. Galerie Gerd Rosen, BerlinK
1950 Zimmergalerie Franck, Frankfurt am Main
1952 Galerie Grabo-Stevenson, Hamburg;
Haus am Waldsee, Berlin
1953/54 Kestner-Gesellschaft, Hannover;K anschließend in: Oldenburg, Wuppertal, Hagen, Recklinghausen, Krefeld, Dortmund, Hamburg, Essen, Bremen, Mannheim, Köln, Stuttgart, Münster
1957 Galleria d'Arte Internazionale e d'Avanguardia, Ascona
1958 Tekeningen en Grafiek. Comité voor Artistieke Werking, AntwerpenK
1967 Gedächtnisausstellung innerhalb der 15. Duetschen Künstlerbund-Ausstellung, Karlsruhe
1988 Galerie Pels-Leusden, Berlin. Umfassende Retrospektive zum 80. Geburtstag des Künstlers.K
1998/99 Wanderausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg; Georg Kolbe Museum, Berlin; Gerhard-Marcks-Haus, Bremen.K
2008 Karl Hartung – Die Hamburger Jahre. 21. Mai 2008 bis 27. Juni 2008, Handelskammer HamburgK
2010 Karl Hartung. Die Fünfziger Jahre, Plastiken und Zeichnungen. Galerie Ohse, Bremen
2015 Der Bildhauer Karl Hartung (1908-1967). Aufbruch - Aufbrüche. 21. November 2014 bis 12. April 2015, Kunsthalle SchweinfurtK


Referenzen und Literaturempfehlung

[1] Markus Krause: Karl Hartung. 1908 - 1967. Metamorphosen von Mensch und Natur. Katalog mit Werkverzeichnis anlässlich der Wanderausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, 1998, und im Gerhard-Marcks-Haus, Bremen, 1999. Prestel, München, 1998 [280 S., Abbildungen s/w bis auf 32 S. Farbtafeln; Zu Lebzeiten wurden Kunsthistoriker, die eine Monografie über ihn erarbeiten wollten, von dem chronisch überlasteten Hartung abgewiesen. Hanne Hartung, die Tochter des Künstlers, gewährte dem Germanischen Nationalmuseum 1994 erstmals umfassenden Einblick in den Nachlass.]
[2] Irmtraud von Andrian-Werburg (Redaktion und Ausstellung): Karl Hartung. Werke und Dokumente. Hrsg. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg, 1998. (136 S.; ausführliche Biografie, mit Fotos aus Hartungs Leben und aus seinem Atelier. 32 S. Farbtafeln mit Werkabbildungen)
[3] Birk Ohnesorge: Karl Hartung - Zeichnungen. Mit einer Einleitung von Christa Lichtenstern. Gebr. Mann, Berlin, 2008. [216 S.]
[4] Andrea Brandl und Hanne Hartung-Schneede (Katalog): Karl Hartung (1908-1967). Aufbruch - Aufbrüche. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Schweinfurt, 21.11.2014 bis 12.4.2015. Schweinfurter Museumsschriften 209/2014, Hrsg. Erich Schneider. [102 S., mit einem Aufsatz von Christa Lichtenstern]



Dr. Emden-Weinert created: 2014/12/23, last changed: 2014/12/30