Die Welt des Hans Steinbrenner

*25. März 1928 Frankfurt am Main    †18. Juni 2008 Frankfurt am Main



Leben und Werk

Was Piet Mondrian für die Malerei auf der zweidimensionalen Leinwand war, war Hans Steinbrenner für die aus einem Block geschlagene Skulptur.

"Der rechte Winkel, der in seiner Rationalität und Funktionalität unser ganzes Dasein heute mehr denn je bestimmt und ohne den unsere Welt keine Lebensmöglichkeit hätte, tritt so als weitere Konstituante im Bildgeschehen auf. Mondrian hat dies in seiner ganzen Radikalität als erster Künstler durch sein Werk verdeutlicht und realisiert (…)"
[Hans Steinbrenner 1973]

Hans Steinbrenner, 1952-1954 Meisterschüler von Toni Stadler an der Akademie der Bildenden Künste, München, arbeitet zunächst gegenständlich, geht aber schon ab 1956 zu ersten abstrakten Arbeiten über. Nur wenige Künstler dürften in ihrem künstlerischen Schaffen solch ausgeprägte Wandlungen vollzogen haben wie Hans Steinbrenner. Anhand seiner Arbeiten im öffentlichen Raum lassen sich die drei abstrakten Werkphasen recht gut nachvollziehen. In jeder einzelnen hat Steinbrenner die Ausdrucksmöglichkeiten in einer ihm eigenen Art und Weise perfektioniert. Bei aller Unterschiedlichkeit in Hinblick auf Thema und Form scheint, mir persönlich, den Arbeiten aus allen drei Phasen eine Balance gemeinsam zu sein: eine intuitiv gefundene Balance zwischen einer Ausgewogenheit der Volumengewichte - die die Ruhe und Erhabenheit ausstrahlt - auf der einen Seite und einer gewissen spielerischen Freiheit (bei den Quaderkonkretionen) bzw. anrührenden Gestik (bei den Figuren) - die die Spannung ausmacht - auf der anderen Seite.

Steinbrenners Arbeiten - ob in Stein oder Holz - sind stets Handarbeit gewesen, sie sind ohne Einsatz von Fräse oder Kettensäge entstanden. Zudem: all seine Stein- und Holzarbeiten sind aus einem Stück. Der hohe Grads an Perfektion in der Verarbeitung vermittelt lediglich den Anschein, sie seien aus quaderförmigen Teilen zusammengefügt.

"Geometrie gefühlt, nicht konstruiert.
Keine abstrahierte Natur, sondern aus dem Block gebildet."
[Georg Hüter [6]]

Die biomorphe Phase
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Figur (1961)

"In einer ersten Periode schuf Steinbrenner menschliche Figuren (...). Es sind verhaltene, in sich ruhende Gestalten. Weitausgreifende Gesten fehlen. Der Übergang zu den vegetabilischen, biomorphen Werken der zweiten Periode (1955-60) bedeutet zugleich eine Befreiung der vitalen Kräfte: das Schwingen, Kreisen, Sich-Durchdringen, kurviger Bahnen macht Ströme des Lebens sichtbar."
[Lorenz Dittmann: Hans Steinbrenner - Skulpturen, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1993]

"Nun beginnt, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Begegnung mit Skulpturen von Brancusi und Laurens in Paris, die Phase der Gestaltung biomorpher Figurationen und Kompositionen. Zwischen 1957 und 1960 entsteht der Großteil dieser aus weichen, runden Formen gebildeten und vom Raum umspülten, vom Raum durchdrungenen Arbeiten, die meisten davon aus Holz, mit denen Hans Steinbrenner erste internationale Aufmerksamkeit erregt: 1957 wird eine lebensgroße Komposition aus Ulmenholz auf der 4.Biennale in Middelheim/Antwerpen, gezeigt und anschließend für das Museum erworben." [Galerie Dreiseitel]

In diese Phase fallen z.B. auch die Figur vor dem Kaisersaal im Frankfurter Römer sowie die Bronze Ganymed (1957/2002).

Quaderkonkretionen und Kubenvariationen der 1960er Jahre
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Quaderskulptur (1965)

Darauf folgt die Erfahrung und Reflexion des Zustands der gegenwärtigen Welt, der Massengesellschaft und ihrer technischen Rationalität, und mit ihr die Verdichtung zum Block und zum rechten Winkel. Blöcke erscheinen in anorganischer Addition geschichtet, aber rhythmisch zueinandergefügt. [zitiert nach Lorenz Dittmann: Hans Steinbrenner - Skulpturen, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1993]

"Was ist Bildnerei anderes als Licht, das das Material zum Strahlen bringt!"
[Hans Steinbrenner 1965]

"Kunst sollte nicht Wirklichkeitserfahrung, sondern Wirklichkeitserfindung sein. Dem naturalistischen Wirklichkeitsbereich sollte durch die Kunst eine vom Menschen inszenierte Wirklichkeit als reinstes Produkt künstlerischer Gestaltung entgegentreten. Das Chaos hat der Mensch als geistiges Wesen im Vollbesitz seiner sensuellen und intelligiblen Kräfte zu ordnen statt sich ihm zu unterwerfen."
[Hans Steinbrenner 1967/68]

Figurative Quaderkompositionen

Ab Ende der 1960er Jahre werden Steinbrenners Arbeiten wieder abstrakt in dem Sinn, dass die Quaderkompositionen nun an menschliche Proportionen angelehnt sind, er nennt seine Arbeiten von nun an denn auch schlicht "Figuren". Christa Lichtenstern [4] beschreibt die Dramatik dieses Phasenübergangs für Steinbrenner:

Hier war für ihn eine Ordnung erreicht, deren äußerste Verdichtung volumengleicher Elemente keine weitere Kompositionsfähigkeit mehr zuzulassen schien. Diese Phase bezeichnet Steinbrenner heute als seinen "Nullpunkt". Die Perfektion und die Unauflösbarkeit der Quaderfigurationen von 1965 drohte ihn zu "ersticken". Es bedurfte neuer Orientierungen. (...) Sie kamen maßgeblich von Otto Freundlich und seinem dynamischen Elementarismus. Vor allem an Freundlichs Bildern fesselte ihn fortan der "Zusammenhang von planmäßiger Konstruktion und intuitiver Arbeitsweise."
[Christa Lichtenstern]

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Figur (1993)

Die letzte Phase erweist sich zugleich als eine Synthese der vorangegangenen Perioden. Menschliche Proportionen treten nun ... wieder auf, ... aber ... in Spannung gesetzt zur Rationalität des Blocks. (...) Zumeist aber lassen Gliederung und Verhältnissetzung lagernder (querrechteckiger) und aufragender (hochrechteckiger) Blöcke die Rhythmik und das Bewegungspotential des menschlichen Körpers nur verhalten anklingen (...) In solcher Verhaltenheit wird die Figur Ausdruck eines Geistigen im menschlichen Körper, wird Ausdruck der Verborgenheit, des Wartens, des Schweigens, der Frage, der Würde, auch der Verehrung und Opferbereitschaft. [zitiert nach Lorenz Dittmann: Hans Steinbrenner - Skulpturen, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1993]

"Die asymmetrische Anordnung der Kuben und Quader um eine Mittelachse und das dynamische Moment der vertikalen Reihung erzeugen eine Spannung, die das Ergebnis des Ankämpfens der Einzelteile gegen die Symmetrie des Ganzen ist. Die zeichenhhafte Ruhe, die dennoch von den Figuren ausgeht, entsteht dadurch, dass das Verhältnis der Teile zum Ganzen, von Asymmetrie und Symmetrie, von Statuarik und Rhythmik in vollendeter Weise ausponderiert ist." [Ingrid Mössinger in: Hans Steinbrenner. Skulpturen 1982 - 1985, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1986]

"Mein Problem ist das Problem des Ganzen und seiner Teile. Es gibt kein Ganzes ohne Teile und keine Teile ohne ein Ganzes. Vereinzelung ist Vergehen am Ganzen, Ausrottung des Teiles zugunsten eines totalen Ganzen ist ebenfalls Vergehen… Alle Auflösung von Dialektik zugunsten einer seligmachenden Idee, eines totalen Bildes ist die Flucht aus dieser Zeit und aus diesem Raum. Das gilt für den künstlerischen, für den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich. In allen Lebensbereichen kann es also keine oberflächliche Identität geben. Der Bruch, die Zerrissenheit muss ausgetragen werden. Ein Bild, eine Plastik entsteht nur durch Konfiguration einzelner Teile, durch Satz und Gegensatz im Kompositionsgefüge. Die Versöhnung der einzelnen Teile zum Bildganzen hin verdeckt nicht die Brüche und Konflikte, sie sind immer wieder Anlass zu neuen Versuchen, Studien und Gestaltungen…"
[Hans Steinbrenner 1973]

"Es gib keine privilegierte Qualität mehr, allein durch richtige Setzung von Quantität entsteht Qualität! Der Container ist das Symbol einer materialistischen Massengesellschaft. Er kann nicht verdrängt werden - … er muss vermenschlicht werden! In einer Welt, in der die Quantitäten derart falsch verteilt sind, dass ein Drittel der Menschheit am Verhungern ist, gibt die Kunst, im Versuch einer folgerichtigen Setzung der Teile zum Ganzen ein Beispiel, in welcher Richtung sich unsere Welt zu bewegen hat. In der Kunst allein wird Utopie schon Wirklichkeit. Die Pläne für eine neue Welt werden immer erst in den neuen Bildern sichtbar!" [Hans Steinbrenner zitiert nach Lorenz Dittmann: Hans Steinbrenner - Skulpturen, Galerie Katrin Rabus, Bremen, 1993]






Ehrungen

1952 Preis „Eisen und Stahl“, Düsseldorf
1967 Stipendium der Bundesrepublik Deutschland in der Cité Internationale des Arts, Paris
1974 Gastdozent an der Städelschule, Frankfurt am Main
1999 Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München





Ausstellungen (Auswahl)

Zu den mit »K« gekennzeichneten Einzelausstellungen erschien ein Katalog.

1957 Biennale’57 Jeune Peinture, Jeune Sculpture, Paris
1957/1959/ 1961/1965 4., 5., 6. und 8. Biennale Middelheim (Skulptur), Antwerpen - Belgien
1961 2. Internationale Ausstellung zeitgenössischer Plastik, Musée Rodin, Paris.
1963 Symposium Europäischer Bildhauer, Berlin (und erste Begegnung mit der abstrakten Malerei von Otto Freundlich, dessen „Elementarismus“ für seine Entwicklung bestimmend sein wird.)
1964 documenta III, Kassel;
Deutsche Skulptur des 20. Jahrhunderts, Musée Rodin, Paris
1965 „Retrospective.“ Galerie Appel + Fertsch, Frankfurt / Main
1970 Teilnahme an der Weltausstellung Osaka, Japan;
„Hans Steinbrenner: Skulpturen, Bilder, Aquarelle.“ Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom RathK (ebenso 1984, 1988, 1998, 2004, 2006, 2008)
1985 „Hans Steinbrenner – Holzskulpturen und Zeichnungen.“ Gatodo Gallery und Goethe-Institut, TokyoK
1986 „Hans Steinbrenner: Skulpturen 1982 - 1985.“ Galerie Katrin Rabus, Bremen;K
Moderne Galerie Quadrat Bottrop;
Städtische Galerie, Schwäbisch Hall
1988 Musée de Pontoise (Donation Freundlich), Salon des Réalités Nouvelles, Paris;
Edwin-Scharff-Haus, Neu Ulm;K
Neuer Berliner KunstvereinK
1990 „Hans Steinbrenner: Skulpturen 1948 - 1960.“ Sinclair-Haus, Bad Homburg vor der HöheK
1992 Teilnahme an der Osaka Triennale ’92
1996 „Skulpturen im Städelgarten.“ Städel Museum, Frankfurt am Main
2002 „Hans Steinbrenner, Sculptures et Peintures, 1957 - 2001.“ Musée des Ursulines, MaconK
„Hans Steinbrenner – Skulpturen und Zeichnungen.“ Pfalzgalerie Kaiserslautern
2007 „Hans Steinbrenner – Skulpturen“ (mit Bildern von G. van Fastenhout). Mondriaan-Huis Museum, Amersfoort
2009 „Gleichnis der Harmonie.“ Karmeliterkloster, Frankfurt am MainK
2014 „Skulptur, Grafik & Malerei.“ Kunstmuseum Ahlen
2015 Skulptur, Malerei und Grafik.“ Johann Wolfgang Goethe-Universität, Campus Riedberg, KunstRaum Riedberg, Frankfurt am Main





Skulpturengarten An den Geiselwiesen

Die Erbengemeinschaft Hans Steinbrenner (Anne Steinbrenner, Jule Steinberger und Jakob Steinbrenner) richtete nach dem Tod Hans Steinbrenners - gegenüber seines ehemaligen Ateliers - einen Skulpturengarten mit über 50 Arbeiten ein, z.T. stehen sie open air, z.T. gegen Witterung geschützt in einem Verschlag. Der Skulpturengarten kann - ausschließlich nach Vereinbarung [Tel. 069 / 76 43 23] - besucht werden. Er befindet sich "An den Geiselwiesen" Ecke "An der Litzelwiese" in Frankfurt am Main - Praunheim. 2018 erschien, anlässlich seines 10. Todestags und mit freundlicher Unterstützung des Kulturamts der Stadt Frankfurt, das folgende Booklet mit s/w-Fotos aus dem Skulpturengarten:






Links






Literaturempfehlung

[1] Hans Steinbrenner - Skulpturen 1948 - 1960 (Ausstellungskatalog 23.10.-16.12.1990); Texte von: Karlheinz Gabler, Christa Lichtenstern, Irmtraud Schaarschmidt-Richter; mit Porträt, 18 Abbildungen im Text, 88 Tafeln und Abbildungen; Sinclair-Haus, Altana AG, Bad Homburg v.d.H., 1990
[2] Hans Steinbrenner - Zeichnung, Modell, Skulptur. Kunstverein Speyer / Galerie Reichard, Frankfurt am Main, 1995
[3] Hans Steinbrenner - Skulpturen im Städelgarten. Mit Texten von: Ursula Grzechca-Mohr, Christa Lichtenstern, Irmtraud Schaarschmidt-Richter, Heinz Vogel; Adolf und Luisa Haeuser Stiftung für Kunst und Kulturpflege, Frankfurt am Main / Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, 1996
[4] Christa Lichtenstern: Identifikation - Individuation - Ordnung als geistiges Korrektiv. Beobachtungen zur Arbeitsweise und zur Ästhetik Hans Steinbrenners. In: [3] und [6]
[5] Hans Steinbrenner: Bronze-Plastiken 1961-1970. Von Lorenz Dittmann und Hans Steinbrenner. 1999
[6] Astrid Jacobs, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (Hrsg): Hans Steinbrenner. Gleichnis der Harmonie. Skulpturen. Axel Dielmann Verlag, Frankfurt am Main, 2009. [Katalog zur gleichnamigen Retrospektive im Karmeliterkloster Frankfurt am Main mit Beiträgen u.a. von Lorenz Dittmann und Christa Lichtenstern]



Dr. Emden-Weinert Version 2.2 created: 2008/12/6, last changed: 2018/05/30